Im September 2019 sorgte ein Facebook-Posting von Angel Barrera für viel Zündstoff. Der Rohkaffee-Händler von Belco beschreibt darin detailliert, wie FairTrade-zertifizierter Kaffee in fragwürdigen Vereinbarungen unter dem Fair Trade Preis verkauft wird. Das funktioniert, wenn der Fair Trade Kaffee als Teil einer Mischrechnung mit konventionellem Kaffee verkauft wird.
Am Ende des Tages werden so Konsumenten in ihrem Unwissen ausgenutzt. Es ist ein brenzliges Thema, da es die Glaubwürdigkeit von Fair Trade in Frage stellt, die Röster in ein fragwürdiges Licht rückt und den Produzenten langfristig schaden kann.
Gleichzeitig ist es nur ein Anekdote eines viel grösseren Diskurses: wohin geht die Reise von zertifizierten Kaffees? Wie steht es um das Vertrauen der KonsumentInnen zu Labels? Braucht es eine neue Zertifizierung für “wirklich fairen” Kaffee, der ein living income garantieren kann? Wird das weiterhin über Labels gemacht oder leistet Blockchain in Zukunft diese Aufgabe?
Als Kaffeemacher haben wir den Anspruch, Komplexes zu verstehen, Unangenehmes anzusprechen, lose Enden in ein Ganzes einzufügen und das Gelernte weiterzugeben. Und so haben wir uns vorgenommen, mit diesem Artikel die verschiedenen Facetten rund um “Combos und Co.” abzubilden.
Wir sprachen mit FairTrade Max Havelaar, mit Großröstereien, mit Retailern, und mit Händlern und Produzenten, um verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu verstehen.
Um was geht es also in diesem ganzen Diskurs? Die kurze Antwort lautet – es ist nicht einfach. Die längere Antwort geben wir in strukturierter Art und Weise hier wieder.
Dazu haben wir für alle Röster eine “Selbstkontrolle” zur Verfügung gestellt. Vielleicht weiss man ja als Röster nicht, ob man Kaffee aus einer Combo einkauft? Raphael Studer, CEO von algrano hat für euch nachgerechnet. Mit Peter Lerch haben wir einen weiteren Experten gewinnen können, der die Fakten und Rechnungen im Gegencheck untersucht hat.
Alle Quellen behandeln wir anonym, ausser diejenigen, die uns ihr Einverständnis gegeben haben. Vielen Dank für euer Vertrauen, den Mut, die Ungerechtigkeiten anzusprechen und dabei deutliche Worte zu finden.
In drei Teilen besprechen wir, was die Herausforderungen und Chancen sind, und welche Wege womöglich aus dem Dilemma führen.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger
Es gibt eine spanische Version des Artikels. ->
Combos: wenn fairer Handel nicht mehr fair ist
ProduzentInnen als Teil des Ganzen
Stell dir folgendes Szenario vor: du gehörst zu den circa 15 Millionen Kleinst-KaffeeproduzentInnen weltweit und produzierst Kaffee auf deiner Farm, die maximal gleich gross wie drei Fussballfelder ist. Du gehörst zu einer Kooperative, die dein zentraler Partner für alle Anliegen in Sachen Kaffee ist.
Die Kooperative gibt dir Zugang zu agronomischen Wissen, das dir sonst vielleicht verwehrt bleibt. Die Kooperative gibt dir die Chance, Setzlinge zu kaufen und günstiger zu Dünger und Pflanzenschutzmitteln zu kommen. Ebenfalls kauft dir die Kooperative deine Kaffeekirschen ab, verarbeitet sie zu transportfähigem Kaffee und bringt deinen Kaffee in die Welt. Die Kooperative kann für KaffeeproduzentInnen ein Tor zur Kaffeewelt sein. Ein Tor, das Zugang zu Märkten verschaffen kann, die du als Einzelperson nicht erreichen könntest.
Wie funktioniert FairTrade – Max Havelaar?
Der Markt für FairTrade-zertifizierten Kaffee ist so ein Markt. FairTrade International zertifiziert Kooperativen, aber keine einzelnen ProduzentInnen. Die Bündelung von ProduzentInnen in einer Kooperative erlaubt es FairTrade, mehr ProduzentInnen auf einmal zu erreichen. und demokratische Strukturen in der Verkaufsorganisation zu etablieren. FairTrade kann so den einzelnen ProduzentInnen zu mehr Marktmacht verhelfen. Die ProduzentInnen selbst sind jetzt dazu aufgefordert, die Richtlinien von FairTrade International zu befolgen, um im Gegenzug ihren Kaffee als Fairtrade zertifizierten Kaffee vermarkten zu können.
Die Vermarktung unter dem FairTrade-, oder Max Havelaar Label in der Schweiz, garantiert einen Mindestpreis FOB von 140cts/libra (ein knappes Pfund: 0.457kg). Dazu kommt eine Fairtrade Prämie von 20cts/lb, die an die Kooperative ausbezahlt wird. Die Kooperative soll demokratisch über die Verwendung des Prämien-Pools verfahren und in langfristig angelegte Projekte oder nötige Infrastruktur investieren.
Jedoch bedeuten die 140cts/lb FOB nicht, dass auch alles bei den ProduzentInnen ankommt. Gemäss der Info einer Kooperative aus Peru kommen ca. 115 cts/libra bei der Kooperative an.
25 cts/libra werden für Dienstleistungen der Dry Mill, für den Inlandtransport und Finanzierungskosten gebraucht. Diese Kosten fallen auch bei anderen Kaffees an.
Fairtrade Mindestpreis FOB | 140 cts/libra | 3.08 USD/kg |
davon wird abgezogen | ||
Exporteur Ursprungsland (Truck, Paperwork) | ||
Services Dry Mill (schälen, sortieren, reinigen) | ||
Lagerkosten | ||
Finanzierungskosten für Kredite | ||
total Abzüge gemäss Co-op aus Peru | 25 cts/lb | 55 cts/kg |
Kooperative X bekommt vom FOB-Preis | ca. 115cts/lb | 2.53 USD/kg |
Kooperative X bekommt FairTrade Prämie von | 20 cts/lb | 0.44 USD/kg |
“140cts/lb sind eine Zahl, die lange als Grösse für gewaschenen Kaffee galt, zu welcher Kaffee kostendeckend mit einer kleinen Marge produziert werden kann”, so Peter Lerch in einem Podcast mit uns.
Diese 140cts haben jedoch an Wert verloren in den letzten Jahren, da Dünger, Lebenskosten und Arbeitskraft teurer wurden. Im Gegensatz zu dem Kaffeepreis an der Börse jedoch, haben die 140cts in den allermeisten Fällen in den letzten Jahren deutlich besser abgeschnitten.
Die Grafik zeigt, wann der Marktpreis höher als der FairTrade-Mindestpreis war (blau), und wann er tiefer war (braun).

Quelle: https://www.fairtradecertified.org/news/fair-trade-coffee-myths
In Zeiten, bei denen der erreichte Börsenpreis stark fluktuiert und immer wieder unter die psychologische Grenze von 100cts/lb fällt, sind diese 140cts/lb ein Segen für viele ProduzentInnen, weil sie einen Mindestpreis garantieren. Besser gesagt: wenn sie einen Mindestpreis garantieren.
Ein übersättigter Markt
Der Markt für Röstkaffee ist riesig. Mindestens jeder zweite Mensch auf dieser Erde trinkt Kaffee. Die Zahlen global konsumierten Kaffees steigen gemäss der ICO jährlich zwischen 1.5 und 3% . Auch in Europa steigt der Kaffeekonsum an, wenn auch weniger schnell als in den aufstrebenden Kaffeemärkten Südostasiens und Südamerikas.
In Europa scheint der Kaffeemarkt weitestgehend gesättigt – er geht weniger in die Breite, aber mehr in die Tiefe. Eine Diversifizierung des Markts geht seit Jahren in Single Portion Kaffees wie Kapseln, aber auch eine wachsende Lust für Bohnenkaffees, die in immer besseren Vollautomaten eingesetzt werden.
Interessanterweise unterscheiden sich gerade hier zwei Märkte, die uns in unserem Unterfangen besonders interessieren: der Deutsche und der Schweizer Kaffeemarkt. Die beiden Märkte weichen in einigen Punkten deutlich voneinander ab. In der Schweiz sind single portions der alleinige Marktführer im Endkonsumentenmarkt, während in Deutschland die “ganze Bohne” weiterhin, auch bei mehr Konkurrenzprodukten, der Verkaufsschlager ist.
Der Markt in Deutschland sei extrem preisgetrieben, so eine Quelle aus einer deutschen Grossrösterei. In der Schweiz seien wir manchmal etwas in einer “Kauf-Blase”. In Deutschland würde einfach weniger Geld ausgegeben für Lebensmittel, als in der Schweiz. Beim Kaffee sei dies nicht anders.
Der Deutsche Kaffeeverband bestätigt uns, dass nur 12% des gesamten Kaffees am Röstkaffeemarkt zertifiziert ist – darunter gehen Bio-, FairTrade-, Rainforest Alliance/UTZ-Zertifizierungen). Total FairTrade-zertifiziert in Deutschland sind es dann nur 4,9%. (Bestätigt im TransFair Jahres- und Wirkungsbericht 2019 – hier zum Download).
Von der Darboven Rösterei wissen wir aus einem Instagram-Chat, dass der Anteil FairTrade-zertifizierter Produkte auch bei diesen knapp 5% liegt. Darboven entspricht damit also einem Deutschweiten-Anteil, der aber immer noch erschreckend klein ist.
“Der Markt für Fair Trade-Kaffee entwickelt sich nur schleppend und wird nur minim grösser”, so eine andere Quelle einer deutschen, mittelgrossen Rösterei.
Für den deutschen Kaffeemarkt, der sich gegen aussen oft sehr nachhaltig und bewusst gibt, sind 4,9% Fair Trade Kaffees nicht viel. Und Irgendwie ist das ja das eigentliche Absurde am ganzen Thema: Fairer Handel ist für viele zum idealistischen Gradmesser für “korrekten Kaffeekonsum” geworden, die Kaufrealität sieht aber einfach anders aus.
Philipp Schallberger & Benjamin Hohlmann
Die Realität sieht sogar noch schlechter aus als angenommen. Nur rund 33,8% von FairTrade zertifiziertem Rohkaffee landet am Ende in einem als Fair Trade ausgewiesenem Röstkaffeeprodukt. FairTrade macht darauf aufmerksam, dass diese immerhin eine Steigerung von 15% seit 2016 sei. Und dennoch: Die restlichen 66% von FairTrade-zertifiziertem Kaffee müssen auf dem Markt konventioneller, also nicht-zertifizierter Kaffees verkauft werden – auch wenn sie alle Anforderungen für eine Prämie entsprechen. Und wer deckt diesen Verlust ab? Niemand. Noch mal und in aller Klarheit: es wird 66 % mehr Fairtrade zertifizierter Kaffee produziert, als Abnehmer vorhanden sind!
FairTrade-Kaffee als SALE-Angebot
Der krasse Überhang an Fairtrade-zertifiziertem Kaffee löst dann auf Retail-Seite komische Blüten aus: immer wieder sehen wir, dass Fairtrade Kaffee in Supermärkten zu Sonderrabatten angeboten werden. Auch verschiedene Röster fangen an, die FairTrade Kaffees mit Rabatt zu verkaufen. Es fällt uns wirklich schwer, dabei die volle Überzeugung des Retailers oder Rösters für ein zertifiziertes Produkt zu sehen.
Gewiss, mit Lockangeboten für ein Produkt die Kunden in den Supermarkt zu holen, die dann wiederum andere Produkte einkaufen, bringt Zusatzverkäufe und hält die Kapital-Maschine am Laufen. Die Botschaft aber, dass man “fairen Kaffee” zu “billigen Preisen” bekommt, ist dann einfach falsch – weil es so nicht funktioniert.
Ja, wir beobachten einen Preisdruck von Seiten des Retailmarkts; ja, wir beobachten, dass billiger an vielen Punkten noch immer geil ist. Es gibt aber gewisse Produkte, wie z.B. FairTrade Produkte, die in diesem Wettlauf um die niedrigsten Preise disqualifiziert werden. Da können wir alle einen Diskurs um Nachhaltigkeit, faire Preise etc. hochhalten, aber wenn am Ende des Tages der Fairtrade Kaffee nicht mehr fair ist, betrügen wir uns alle selbst.
Hauptsache, der Rohkaffee verkauft sich
Du erinnerst dich an das Gedankenexperiment vom Anfang dieses Textes? Du als kleine/r KaffeeproduzentIn? Dann kehren wir dahin zurück, irgendwo auf eine kleine Farm in der Nähe des Äquators. Die Führung der Kooperative ist gerade in Kontakt mit potenziellen Käufern, die einen Fairtrade-zertifizierten Kaffee benötigen, am besten “einen Kaffee mit Geschichte” – als ob es Kaffees ohne Geschichte gäbe. Du als ProduzentIn bist Teil dieser Geschichte, ja noch viel mehr, nur durch deine Arbeit kann jemand weit weg eine Geschichte erzählen.
Die potenziellen Käufer analysieren die Lage klar: sie wissen, dass in ihrem Heimmarkt die Nachfrage an FairTrade-zertifiziertem Kaffee stagniert. Gleichzeitig sehen die Käufer, dass die Kooperativen-Mitglieder viel Kaffee produziert haben. Von ihren total 50 Containern, die sie jährlich zusammen produzieren, sind 25 FairTrade-zertifiziert. Der potenzielle Käufer braucht insgesamt zwei Container FT-Kaffees, sieht aber, dass seine Nachfrage geringer als ihr Angebot ist. Die Kooperativen-Führung sieht das auch – man ist ja schliesslich hombre de negocio (Geschäftsmann), wie uns Pablo (fiktiver Name), ein Vorsteher eine Honduranischen Kooperative, schilderte.
“Schau mal”, sagt Pablo, “wenn ich 2 statt nur 1 Container verkaufen kann, dafür aber 1 Container FT-Ware zum FT-Preis wegbringe, ist das gut. Es ist jedoch so, dass ich dann für den zweiten Container, für den mit der konventionellen Ware, einen rebaja (Rabatt) gewähre.”
Pablo, Honduras
Wir fragen, ob es ein müssen, können, wollen ist – “es ist halt so. Da machen wir dann eine Combo.”
Die Combo ist nichts anderes als ein Rabatt-System im Rohkaffee-Einkauf. Nur, wenn es Rabatt für gleiche Ware wäre, dann wäre es business as usual. Aber, wenn die zwei Verkaufskomponenten einmal zertifiziert und einmal nicht zertifiziert sind, dann macht das einem nicht nur stutzig – diese Methode höhlt das FairTrade-System aus, es pervertiert es. Ja, es begräbt die Gesinnungsverantwortung der Rohkaffee-Händler und -Käufer. Eine Combo heisst, dass der zweite Container (mit konventionellem Kaffee) für oftmals weniger als der Weltmarktpreis weg geht. Der Durchschnitt der beiden Kaffees ist dann oft so tief, dass die FairTrade-Prämie wieder futsch ist.
Peter Lerch dazu: “Die Praxis von Combos wird nicht nur mit konventionellen Kaffees ausgeübt, sondern auch mit Organic oder Utz zertifiziertem Kaffee. Ein Beispiel: Organic müsste bei ca. +40 cts/lb liegen wenn es allein verkauft wird. In der Combo kann es vorkommen dass bei +10 verkauft wird. Das gleiche für Utz. Der Preis sollte im Moment bei +30 liegen, der Kaffee wird jedoch bei +10 oder tiefer verkauft in der Combo.”
Peter Lerch
Eine Beispielrechnung
Peru, Grade 1, nicht zertifiziert: ca. 127 cts/lb (9.7.2020) | ||
regulär | in der Combo | |
nicht zertifizierter Kaffee | . + 30cts/lb (Markt)(Peru-Differenzial) | Ca. +10cts/lb (Combo) |
Marktpreis: 0.97 USD/lb per 9.7.2020 | 0.97 USC/lb | 0.97 USC/lb |
127 cts/lb | 107 cts/lb | |
Peru, Grade 1, FairTrade zertifiziert ca. 160 cts/lb (9.7.2020) | ||
Mindestpreis FOB | 140 cts/lb | |
FT-Prämie | 20 cts/lb | |
160 cts/lb | ||
Eine mögliche Combo würde dann so aussehen | ||
1 Container nicht-zertifiziert für 107 cts/lb (20 cts tiefer als Marktpreis)1 Container zertifziert für 160 cts/lbDurschnittspreis: 133.5 cts/lb für beide Container Die Kooperative hat also einen Verlust von 20 USC/lb für den nicht zertifizierten Kaffee. |
||
Eine korrekte Mischrechnung mit Marktpreis sollte so aussehen | ||
1 Container nicht zertifiziert für 127 cts/lb1 Container zertifiziert für 160 cts/lbDurchschnittspreis: 143.50‘Verlust’ für die Kooperative und schlussendlich den Bauern: USC10/lb |
“Besonders in Zeiten tiefer Weltmarktpreise kommen Combos verstärkt zur Anwendung, da die Differenz zwischen Weltmarktpreis und Fairtrade-Mindestpreis über 40% betragen kann”, so Simon Aebi von Max Havelaar Schweiz.
Das hat zur Folge, dass wenn die Preise richtig tief sind, sie durch Combo-Verträge der Einkäufer oder Trader noch mehr gesenkt werden.
Jedoch, mit allen Kooperativen oder Exporteuren, mit denen wir über Combos gesprochen haben, hören wir ähnliche Geschichten. Das Überangebot an FT-Kaffee ist so drastisch, dass viele Produzenten oft “froh” sind, wenn sie ihren Kaffee überhaupt noch weiterverkaufen können und nicht auf ihm sitzen bleiben. “Die meisten Kooperativen haben viele Zertifikate gleichzeitig und versuchen erst FairTrade Organic, dann FairTrade, Rainforest Alliance und UTZ zu verkaufen”, wirft Peter Lerch ein. Diese Reihenfolge ergibt sich durch die Höhe der Prämien.
Andere Kooperativen, mit denen wir gesprochen haben, sind wiederum einfach nur frustriert und haben den Glauben an ein System verloren. Dass dabei nicht “das System” per se die Verantwortung trägt, sondern diejenigen, die darin agieren, muss hier deutlich festgehalten werden.
FairTrade hat nicht die Rolle der Polizei. Fairtrade ist eine NGO. Die Kosten der Strukturen sind hoch, FairTrade ist auch eine Zertifizierungsmaschine, doch: Fairtrade ist so was wie die „Demokratie unter den Siegeln“ – weiss Gott nicht perfekt, für viele unzulänglich, aber doch etwas vom Besten, das wir haben.
Simon Aebi von Max Havelaar Schweiz äussert sich ebenso besorgt über die Entwicklungen unfairer Handelspraktiken. FairTrade International schaue dabei nicht einfach nur zu, im Gegenteil. Aebi sagt aber:
“Unfaire Handelspraktiken können wir nicht alleine über Vorschriften im Fairtrade-Standard und Audits lösen, sondern nur gemeinsam mit den Kleinbauernorganisationen, Händlern, Verarbeitern und Lizenznehmern. Um dieses Thema offen zu diskutieren, hat Fairtrade International am 23. Mai 2019 in Amsterdam zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Weitere Diskussionsrunden sind geplant. Bei diesen Gesprächen werden unfaire Handelspraktiken und deren Folgen offen angesprochen und Lösungsmöglichkeiten gemeinsam beurteilt und diskutiert.”
Simon Aebi, Commercial Director, Max Havelaar Stiftung Schweiz
FairTrade International distanziert sich klar von den Combo-Praktiken, besitzt aber kaum Handhabe, da es sich um Praktiken außerhalb des eigentlichen Geltungsbereichs der Fairtrade-Standards dreht. Aebi dazu:
“Bei den beanstandeten Kontrakten handelt es sich nicht um Fairtrade-Verkäufe, sondern um konventionelle Verkäufe, die unter dem Marktpreis abgeschlossen werden. Unserer Ansicht nach muss das Thema Combos vermehrt mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette thematisiert werden und alle Akteure müssen sich bewusst sein, dass unfaire Handelspraktiken langfristig zu einer Lose-Lose-Situation führen. (…) Fairtrade kann diese Herausforderung nicht alleine lösen. In der Verantwortung sind alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette.”
Aebi hat Recht – es geht um Verantwortung. Was an diesem Mechanismus lehrbuchmäßig nachgezeichnet werden kann, ist nämlich die Weitergabe der Verantwortung auf einer Warenkette.

Was diesem Umstand hilft, ist die Anonymität auf dieser Kette. Die räumliche Distanz zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen ist derart gross, dass auch das fröhlich lächelnde Gesicht einer Kaffeebäuerin auf der Packung nicht mehr Nähe erzeugen kann.
Zudem kauft man ja ein zertifiziertes, faires Produkt, also muss dafür auch ein fairer Preis bezahlt worden sein. Eigentlich ja, in der Praxis aber eben oft nein – es wurde oft nur ein Durchschnittspreis bezahlt.
Wenn wir also diesen Mechanismus zu Ende denken, werden die KonsumentInnen am Regal getäuscht. Sie kaufen Fairtrade-Kaffee ein, der zwar das Siegel verdient, weil der Kaffee selbst den Fairtrade-Richtlinien entspricht. Gleichzeitig werden sie aber Opfer von einem Mechanismus, der den Grundgedanken von Fairtrade aushöhlt. Genau an diesem Punkt ist fairer Handel nicht mehr fair – und Fairtrade selbst kann nur zuschauen. Vorerst – doch zu diesem Punkt kommen wir später.
Stellen wir jetzt die Fragen, die wir stellen müssen:
Wer profitiert davon?
- primär richtig grosse Röster. Solche, die wirklich viel Kaffee brauchen und bei denen FairTrade-zertifizierter Kaffee ins Portfolio gehören muss
- i.a.R. sind das Bohnenröster, weil diese mehr Kaffee brauchen
- für mittlere Röster für single portion Kaffees, Kapseln etc., ist dieses System weniger interessant weil weniger durchzertifiziert, für Grosse jedoch bestimmt ebenfalls
- Die grössten Bohnenmärkte in Europa: DE, Holland und Frankreich
- in Märkten wo mehr Bohnenkaffee präsent ist, steigt das Risiko für Auswüchse im System.
Wem schadet es?
- Die Glaubwürdigkeit von FairTrade wird hier extrem herausgefordert, auch wenn es kein direktes FairTrade-Problem ist
- viel eher wird auf dem Rücken von FairTrade Schindluderei betrieben
- nicht nur FairTrade schadet es, sondern dem “guten Glauben” an eine wirklich faire Handelskette. Einmal als Produzent einem solchen System aufgesprungen, braucht es viel Überzeugungskraft, dass es ein noch faireres System geben soll
Wer trägt die Schuld?
- in einem gut geölten System die Schuldfrage zu stellen, bei dem sich jeder etwas schämt, mit offenen Worten nicht herausrücken kann/möchte/soll, da macht sich jeder etwas mitschuldig
- jeder, der eine Kaufentscheidung trifft – aber nicht der Konsument. Die Konsumenten tappen hier für einmal im Dunkeln
- der Röster wäre also der erste in der Schuld-Kette, der Verantwortung übernehmen müsste
- dann kommt der Handel, der die Combos „erfunden“ hat
- der Handel wird jedoch mit Druck zu diesen Lösungen gebracht, denn wer nicht mitmacht, verkauft nicht an die Großen
Was könnten Lösungen sein?
- Keinen Fairtrade Kaffee mehr trinken? Dann wird die Nachfrage noch geringer und noch mehr FT-Kaffee landet auf dem konventionellen Markt
- mehr FairTrade-Kaffee trinken? Ja – und beim Retailer und Röster nachfragen, ob es keine Combo-Kaffees sind
- Es braucht also Aufklärung – und die schaffen wir über eine transparente Preisbildung, die für alle zugänglich wäre
- Peter Lerch schlägt vor: transparente Marktdifferenziale für einzelne Kaffees öffentlich zugänglich machen, kontrolliert durch unabhängige Institution, und merkt an- “die Umsetzung wäre schwierig, wer ist denn schon unabhängig?”
- FairTrade-Kaffee teurer verkaufen – auch wenn er sensorisch nicht automatisch besser ist? Ja – denn “fair” reicht nicht zum Leben. Ein living income muss die Lösung sein.
Was sagt FairTrade dazu?
Die grosse Herausforderung bei Combos ist, dass es sich bei den beanstandeten Kontrakten nicht um Fairtrade-Verkäufe, sondern um konventionelle Verkäufe unter dem Marktpreis handelt.
Der Fairtrade Handelsstandard (https://www.fairtrade.net/standard/trader) regelt ausschliesslich den Handel von Fairtrade-zertifizierten Rohstoffen, nicht jedoch konventionelle Handelsgeschäfte. FLOCERT als Zertifizierungs- und Kontrollstelle prüft demzufolge in unabhängigen Audits auch nur jene Verkäufe, die zu FairTrade-Bedingungen abgewickelt werden (Bezahlung von Mindestpreis, Prämie, Zahlungsfristen, etc.). FLOCERT hat kein Mandat dafür, Handelsgeschäfte ausserhalb von Fairtrade zu auditieren. Diese Einschränkung macht es FLOCERT praktisch unmöglich, Combos in einem Audit aufzudecken und somit mit Fakten zu beweisen.
Simon Aebi
Und was wird FairTrade ändern?
FairTrade möchte Combos verhindern, sagt Aebi, “da diese unfaire Handelspraktik Kleinbauern schwächt und somit klar der Philosophie von Fairtrade widerspricht.“ Nachfolgend einige Massnahmen, die Fairtrade bis jetzt umgesetzt hat, um Combos und anderen unfairen Handelspraktiken entgegenzuwirken:
- Unfaire Handelspraktiken wurden neu explizit in den Fairtrade Handelsstandard (https://www.fairtrade.net/standard/trader) aufgenommen (4.8.1 Unfair Trading Practices):
Fairtrade does not accept unfair practices that clearly damage producers’ or other traders’ capacity to compete or the imposition of trading conditions on suppliers that would make it difficult for them to comply with Fairtrade standards. There are no indications that you engage in such practices.
Dieser neue Standard ermöglicht FLOCERT bei konkreten Hinweisen unfaire Handelspraktiken gezielt zu sanktionieren.
- Wenn jemand konkrete Hinweise zu durchgeführten Combos hat, kann diese Person bei FLOCERT eine Beschwerde einreichen: https://www.flocert.net/de/ueber-uns/qualitaet-und-einsprueche/
Dank des neuen Standards (4.8.1 Unfair Trading Practices) kann FLOCERT dieser Beschwerde nachgehen und bei entsprechenden Beweisen den Trader sanktionieren.
- FLOCERT führt vermehrt fokussierte und risikobasierte Audits durch und hat die Anzahl an unangekündigten Audits erhöht.
Was sagen grosse Röster dazu?
Die zwei grössten Retailer der Schweiz, Migros und Coop, beteuerten, dass keine Kaffees aus Combo-Geschäften in ihren Regalen stehe. Die Migros-Kaffees werden von der Delica AG geröstet, die Kaffees von Coop werden mehrheitlich von UCC geröstet. Der Rohkaffee-Einkäufer der Delica, der Kaffeerösterei der Migros, versicherte:
“Solange ich den Kaffee für die Migros-Produkte einkaufe, wird es das nicht geben.”
Bruno Feer, Senior Purchaser Coffee, Delica
“Wir sollten die ganz Grossen fragen”, hörten wir immer wieder von Rohkaffee-Einkäufern. Nur, die ganz Grossen hatten bisher wenig Appetit, mit uns über diese Dinge zu sprechen.
Wer hat die grösste Verantwortung?
In unseren Gesprächen hat sich etwas herauskristallisiert: in einem System, das dann funktioniert, wenn jeder mitmacht, jeder dem nächsten die Verantwortung weitergibt, dann hat der Rohkaffee-Einkauf die grösste Verantwortung. Denn das ist die Position, die schliesslich die Kaffees einkauft, möglichst günstig, um in den Zielvorgaben des Unternehmens zu bleiben. Der Rohkaffee-Einkauf weiss über das Combo-System – und wenn nicht, dann wissen die EinkäuferInnen, dass ein Fairtrade-Kaffee nicht so günstig sein kann.
Es ist die Position, die als einziger Akteur, wissentlich das System weitertreiben kann, in dem Kaffee eingekauft wird, oder nicht. Die Rolle des Rohkaffee-Einkaufs ist das Scharnier. Der Rohkaffee-Einkauf basiert zwar auf digitalen Tools, doch die eigentlichen Abmachungen passieren zwischen Menschen.
Wissen ist Macht und ist deshalb Verantwortung. Wer über solche Praktiken weiss, diese Macht ausübt, ist dafür verantwortlich. Ob also ein Combo-Vertrag durchgeführt wird, steht und fällt mit der inneren Haltung der verantwortlichen Person im Rohkaffee-Einkauf. Ja, auch diese muss unter Druck des Kunden nachgeben – wenn dieser weniger bezahlen möchte, dann ist das so. Und trotzdem fällt es auf den Einkauf zurück.
Was spielen die Trader für eine Rolle hier?
Der Kaffeehandel möchte Kaffee weiterverkaufen. Wer günstiger als seine Konkurrenz ist, hat Wettbewerbsvorteile.
Der Handel hat die Praktiken der Combos und Confidentiales eingeführt, um vorerst Vorteile für sich auszuarbeiten und das Margenpotential zu erhöhen. Nun ist dieses längst ausgenutzt und der Handel kann nur noch mit der Konkurrenz mithalten, wenn er bei den Ausschreibungen für Grossröster mitmacht. Natürlich hätte er auch die Möglichkeit aufzuklären und diese Praktiken zu verweigern.
Alter Handel, neuer Handel
Der Rohkaffeehandel hat sich in der letzten Dekade stark verändern müssen. Die Ansprüche gewisser Konsumentengruppen wurden höher, der öffentliche Druck auf transparente Warenketten wird stärker. Röster müssen teilweise mehr und mehr kommunizieren, woher der Kaffee kommt.
Noch immer reichen vielen Röstern romantisierende Geschichten und Bilder der Kaffeeproduktion für eine einfache Kommunikation aus. Wir spüren aber auch hier eine Veränderung. Mehr Forderung nach Transparenz heisst, dass sich der Rohkaffeehandel ändern müsste.
Einige kleinere Händler gehen voran und agieren als digitale, völlig transparente Plattform, und binden Blockchain in ihren Apparat mit ein. Andere wiederum, wie z.B. ganz klassische Agenten, praktizieren oft das Gegenteil. Wenn der eigene Anspruch, oder der Anspruch der Kunden keine Transparenz erwartet, dann steigt das Potenzial für eine schräge Geschäftspraxis.
Eine Quelle einer grossen deutschen Kaffeerösterei erinnert uns, dass im Trading immer ein Exporteur und ein Counterpart, der Importeur, zusammen arbeiten. Diese Verbindungen sind über Jahrzehnte gewachsen. Und mit dem Handel wurden auch die Personen älter – das vereinfacht die Arbeit aller natürlich sehr. Gleichzeitig gilt es auch da hinzuschauen, denn da, wo Wissen mit Macht zusammenläuft, dieses sogar exklusiv ist, ist das Potenzial für fragwürdige Geschäftspraxis höher, als an anderen Stellen.
Gehts noch absurder als Combos? Ja – Confidentiales und “Defekte”
Absurdität 1: Confidentiales
Wir haben gelernt, dass Combos für viele Produzenten fast ein notwendiges Übel sind. Bei den Recherchen zu diesem Artikel haben wir allerdings noch was ganz anderes gelernt. Gehts noch absurder als Combos? Ja: die Rede ist von confidentiales.
Uns erreichte dazu diese Whatsapp-Nachricht von einer Quelle auf der Kaffee-Produktionsseite:
“Combos are to be differentiated from confidentials: with confidentials, the buyer only purchases fairtrade coffee, pays the Fairtrade price to the grower according to the official contract and then asks the grower to send the value of the „confidential discount“ back.”
Anonyme/r Kaffeeproduzent/in
Wir verstanden nicht genau, hakten nach, und es war wirklich so – ein Vertrag wurde für FairTrade Kaffee ausgestellt, denn dieser wird von FLOCERT überprüft. Die Zahlung erfolgt. Noch ist nichts fragwürdig.
Später jedoch wird in einzelnen Fällen vom Käufer ein “vertraulicher Rabatt” vom Exporteur eingefordert. Und warum?
“Oft deshalb, weil der Käufer einen Extra-Aufwand im Marketing des Fairtrade Kaffees habe, und diesen wiederum decken muss”, so unsere Quelle.
Anonyme/r Kaffeeproduzent/in
Das ist vor allem deswegen schlimm, da hier nicht mal mehr eine Mischrechnung gemacht wird und Volumen gepusht werden. Wir haben es gesagt – absurder geht es nicht mehr.
Es schmerzt sogar.
Wir möchten nicht in der Haut des Einkäufers stecken, der diese Verdrehung eines gut gemeinten Ansatzes auf Grund von Margensteigerung machen muss. Der Wolf of Wall Street lässt grüssen.
Absurdität 2: Abwertung des FT-Preis wegen Defekten
Die FairTrade-Zertifizierung wird auf Kaffees angewandt, die klar definierten Produktions-Standards entsprechen – jedoch nicht Qualitäts-Standards. Die uns bekannten Fairtrade-Blends in großer Menge sind in aller Regel Kooperativen-Blends und keine Microlots. Die Qualität reicht von gut, bis ordentlich, bis mit mehreren Defekten versehen.
Doch viele Einkäufer haben für FT-Kaffees weniger detaillierte Spezifikationen als für andere ihrer Kaffees im Sortiment und Qualität spielt für viele eigentlich eine untergeordnete Rolle, bestätigt eine Quelle bei einem der großen deutschen Röster.
Sollte ein Rohkaffee im Cupping Room beim Einkäufer nun aber trotzdem mit Defekten versehen sein, wir nicht selten ein Preisabschlag eingefordert – auch wenn die Qualität nicht im Vordergrund des Kaufvertrages stand.
Diese Praxis ist so nicht erlaubt.
“Selbst wenn der Kaffee 90 Defekte hätte, darf kein Abschlag für die Qualitäten gegeben werden”, so Lerch weiter.
Peter Lerch
Jedoch wird anscheinend oft ein Qualitäts-Discount eingefordert und der Kaffee nur unter diesen Bedingungen akzeptiert. Leider ist dies schwierig zu beweisen, da es in der Buchhaltung nirgends auftaucht.
Courage: was es braucht, dass wir darüber sprechen.
In unseren Recherchen für diesen Artikel schwebte ständig ein Wort wie ein Damokles-Schwert über unseren Köpfen – Diskretion. Einige Röster forderten Diskretion ein, da man sich nicht sicher sei, ob der Kaffee nun eine Combo ist oder nicht und man “niemanden anschwärzen” wolle.
Die Händler forderten Diskretion ein, da sie “im Namen der Röster agieren”. Die Produzenten forderten Diskretion ein, weil es sie einfach am Härtesten trifft, sobald da Namen ins Spiel kommen.
Eigentlich absurd, nicht? Da wollen wir vermeintlich alle eine fairere Ausrichtung der Warenkette mit mehr Transparenz, mit besseren Bedingungen für alle, mit mehr von allem, was uns lieb ist.
Aber dann, wenn es an die Substanz geht, fallen wir in althergebrachte Strickmuster zurück, welche die Kaffeebranche im letzten Jahrhundert stark mitgeprägt und auch so lukrativ gemacht haben: Diskretion, Gentlemen’s agreements, heilige Kühe.
In diesen konkreten Fällen der Combos und Confidentiales aber haben Diskretion nur dann eine Berechtigung, wenn es gilt, Personen zu schützen. Das haben wir in diesem Artikel gemacht. Jedoch gibt es keinen Grund, die Sachlage nicht öffentlich zu machen und nicht zu erklären. KaffeetrinkerInnen müssen davon wissen und noch kritischer werden.
Es braucht Mut von allen Seiten, darüber zu sprechen. Vor allem von Produzentenseite merkten wir, wie delikat dieses Thema behandelt wird. Selbst bei mehrmaligem Nachhaken bei schon mehrjährigen Kontakten bekamen wir wenn überhaupt, nur sehr oberflächliche Antworten.
Ein Kontakt aus Honduras war jedoch offenherzig. Er schrieb uns, dass sie als Kooperative während mehrerer Jahre Preisnachlässe haben geben müssen, damit sie überhaupt Kaffee verkaufen konnten.
“Das habe nun aber nachgelassen, eigentlich passiere es nicht mehr (…) bis auf zwei Käufer, die jedes Jahr Rabatt einfordern für FT-zertifzierten Kaffee.”
Weitere Stimmen aus Peru bestätigen diese Praxis. Sowohl Peru als auch Honduras sind führende Kaffeeproduktionsländer in Sachen FairTrade-Kaffee.
Unsere Quelle führt weiter aus, dass die Prämien ja über den Exporteur zur Kooperative gelangen sollte. Nun ist aber nicht jede Kooperative gleichzeitige eine Exporteurin. An der Schnittstelle Exporteur-Kooperative kann es nun wiederum zu Irregularitäten kommen.
“Theoretisch müsste der Exporteur 100% der FT-Prämie an die Kooperative weitergeben – jedoch geschieht auch das in mehreren uns bekannten Fällen auch nicht. (…)” Der Exporteur behalte einen stattlichen Teil der Prämie bei sich und gebe einen Bruchteil weiter an die Kooperative.
Quelle aus Peru
Wir haben in den letzten Monaten von sehr vielen Einzelfällen gehört. Es scheint jedoch, dass diese Einzelfälle ein grösseres Muster aufzeigen und gar nicht so selten sind. Alle unsere Kontakte haben erwähnt, dass sie mindestens von Confidentiales, Combos und Irregularitäten “gehört” haben. Oft werden Combos mit großen Käufern gemacht, oder dann, wenn eine Kooperative neu als Verkäuferin antritt – also quasi als Willkommensrabatt.
Die genannte Quelle in Honduras brachte auch die Courage auf, uns zu schreiben, was sie präzise denkt und bringt das Dilemma auf den Punkt.
Los Combos son una forma injusta de comercializar el café de los pequeños productores. El mayor esfuerzo de los criterios de cumplimiento sucede a nivel del productor. Es a quien más exigen y quien más pierde con el tema de Combos. Una cooperativa busca el certificado FAIRTRADE, para buscar mejores ingresos a sus productores de la manera más justa posible. Pero cuando solo puedes vender el 50% de tu producción Fairtrade, como producto Fairtrade no es atractiva la certificación para los productores. FAIRTRADE debe supervisar mucho más a los compradores y Exportadores, para que la incidencia de los Combos siga ocurriendo.
Die Combos sind eine unfaire Praxis, Kaffee von Kleinproduzenten zu verkaufen. Den grössten Aufwand um die (von Fairtrade) geforderten Kriterien einzuhalten, haben die Produzenten. Sie sind es, die am meisten gefordert werden und welche am meisten verlieren durch Combos. Eine Kooperative lässt sich zertifizieren, damit sie höhere Einkommen für ihre Mitglieder generieren kann. Wenn du jedoch nur 50% deiner FT-Produktion als solche verkaufen kannst, dann ist die Zertifizierung nicht mehr attraktiv. FT muss die Käufer und Exporteure viel mehr überwachen um den Combos Einhalt zu gebieten.
Quelle aus Honduras
Nebst der Courage braucht es vor allem Visionen und eine glasklare innere Haltung, wie beispielsweise die von Bruno Feer, Rohkaffee-Einkäufer der Delica, der sich so klar wie kein anderer Einkäufer gegenüber uns äusserte, dass er Combos nicht toleriert, solange er Kaffee einkauft. Diese starken Überzeugungen brauchen wir. Der Einkauf muss als Expertenstelle über alle Praktiken Bescheid wissen, Offerten die auf Combos hindeuten dankend ablehnen und gewissenhaft handeln, gerade heute.
Was kann Fair Trade tun? Weiter oben hat Simon Aebi den Aktionsplan von Fairtrade aufgezeigt. Es tut sich was, wenn auch langsam. Mittlerweile können alle, die Hinweise auf unfaire Handelspraktiken haben, eine Beschwerde bei FLOCERT hier https://www.flocert.net/de/ueber-uns/qualitaet-und-einsprueche/ einreichen. Diese Offenheit von FairTrade Max Havelaar, zur mutigen Kritik einzuladen, gefällt uns.
Könnte es sein, dass ich als Kaffeeröster einen Kaffee aus einer Combo gekauft habe, ohne es zu wissen?
Raphael Studer von Algrano hat mit uns gerechnet:
„Wenn eine Rösterei FTO (FairTrade-Organic, sog. doppelzertifizierte) Kaffees für 4.20 CHF/kg kauft, und zwar
FairTrade Bio zertifizierter Kaffee aus Peru:
FOB 1.90 USD/lb
+ Import nach Hamburg, inkl. Verzollung: 0.07USD/lb
+ Lagerung 6 Monate: 0.07USD/lb
+ Finanzierung 6 Monate: 0.04USD/lb
Auf ein Kilogramm zu einem Wechselkurs von 0.95USD/CHF hat der Kaffee somit einen Wert von 4.36CHF/kg.
Dabei ist der Kaffee noch nicht bei der Rösterei, es fehlt der LKW Transport. In die Schweiz noch einmal fast 0.1CHF/kg.
Der Händler hat also bei 4.50 CHF/kg für einen FairTrade Bio Kaffee noch nichts verdient.
Dann müsste vom Mindestpreis plus die transparenten Kosten ohne Marge Händler bei 4.60 CHF/kg sein. Abrufbar, ein Jahr lang, finanziert, transportiert, verzollt.
FTO-Kaffee unter 4.60 CHF/kg? Risky…

Change. Braucht es ein neues Label?
In diesem Artikel haben wir versucht, die vielschichtigen Realitäten im Zusammenspiel der verschiedenen Glieder entlang der FairTrade Kaffeekette aufzuzeigen.
Es ist komplex!
Und es muss sich noch weisen, welche Labels in Zukunft welche Aufgaben haben werden, und welche Zertifikate ihren Dienst geleistet haben und ersetzt werden.
Unumgänglich ist eine Einordnung der Aussagekraft eines Labels und die Überprüfung der Realität. Gebana hat hier zum 20 jährigen Bestehen einen mutigen und aus unserer Sicht zukunftsweisenden Schritt gemacht. “Es gibt kein faires Produkt, fairer Handel ist ein Prozess.”
Insbesondere für die Glaubwürdigkeit eines Zertifikates ist eine derartige Einordnung wichtig. Mehr zu verlautbaren als erreicht zu haben, schadet dem Vertrauen. Es bedarf großer Präzision in der Beschreibung der Massnahmen und der entstehenden Wirkkraft von Zertifikaten und Labels. Zugleich können wir Ethik nicht labeln. Wir brauchen Röster, die direkt mit den ProduzentInnen den Preis verhandeln.
Eine Folklorisierung von Bildern, wie z.B. von “traditionell Hand gepflückten Kaffees”, ist problematisch. Zwar kann durch das Pflücken von Hand eine besserer Qualität erzielt werden. Im Commodity Markt drückt sich dadurch aber nicht Qualität, sondern Armut aus.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger
Eine Präzisierung der Maßnahmen und Transparenz über die Wirkung ist insbesondere wichtig, wenn immer mehr kritische Nachfragen in den Medien auftauchen und sich auch zeigt, wie ein System durch Machenschaften wie Combos und Confidentiales unterhöhlt wird.
Eine Zukunft des FairTrade Siegels
Fair Trade ebnet einen Weg. Das Siegel trägt dazu bei, dass ein Mindestverkaufspreis für Kaffees erzielt werden kann. Dieser ist in Zeiten von tiefen Börsenpreisen ein entscheidendes und wichtiges Fallnetz. In diesem Sinne müssen wir die Diskussion weiter führen.
Denn, die Fair Trade-Zertifizierung wurde ursprünglich dafür genommen, um ein komplexes Thema in ein einem einfach verständlichen Namen und Logo zu verarbeiten.
Die Ziele des Siegels helfen Produzenten aber nicht, den Weg aus der Armut zu finden. Sie sichern nur gegen noch mehr Not, in tiefen Börsenzeiten, ab. Wir müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, dass die Mindestvoraussetzungen des Fairtrade Siegels zum Mindeststandard für die ganze Branche werden.
Ähnlich wie für den “Grünen Punkt” muss beim Kaffee gelten, dass es unter den Standards des aktuellen Fairtrade Siegels nicht geht. Die Produktionskosten müssen mindestens gedeckt werden. Wirklich fair wird es dann, wenn dann noch was zum Leben bleibt.
Vorschlag 1: Mindesteinkaufspreis für Grossröstereien
Bezogen auf Grossröstereien könnte ein Massnahme sein, dass ein Fairtrade-Siegel ab 2022 nur noch von Röstereien ausgewiesen werden darf, die mindestens 30% ihres Kaffees mit Mindesteinkaufspreis kaufen. Ein entsprechender Zeitplan kann vorsehen, dass eine Steigerung der Anforderung bis 2030 verlangt, dass der gesamte Kaffee zu einem Mindestpreis der den Produktionskosten entspricht, eingekauft werden muss.
Das würde auch die Praxis eliminieren, dass sich Röstereien hinter “fairen” Eigenmarken verstecken, die bei genauerem hinsehen lediglich einen Bruchteil der nach FairTrade Standard eingekauften Kaffees darstellen.
Fairtrade reduziert seine Kommunikation, in dem es “fair” als Eindruck hinterlässt. Das Adjektiv “fair” ist aber kaum zu rechtfertigen und kann eigentlich nur verfehlen, in einem Zusammenhang wie der Kaffeeproduktion, die kontinuierlich von Ungleichheiten und unfairer Praxis durchzogen ist.
Der FairTrade Preis reicht in kaum einem Land, um die Produktionskosten, geschweige denn Lebenskosten zu decken und erlaubt noch weniger den Weg aus der Armut. Hier dem Konsumenten “feel good” zu vermitteln, ist eine problematische Tendenz, die den oft so üppigen und fröhlichen Kaffee-Kampagnen zu einfach in die Hände spielt.
Vorschlag 2: Living Income Definition für Kaffee-ProduzentInnen durch Fair Trade
Es ist Transparenz und Ehrlichkeit gefragt. FairTrade hat hier Nachholbedarf, wenn es in Zeiten von neuen und weitreichenden Impulsen einer Post-Zertifikats-Bewegung (siehe auch transparency.coffee) eine Rolle spielen will. Gleichzeitig hat FairTrade die wohl grösste Chance, die Zertifizierungs-Branche voranzutreiben.
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Austausch über Farmgate Preise und das Living Income, das Zusammentragen von Informationen über Produktionskosten und Lebenskosten die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es gibt hier viel zu tun und Fairtrade könnte mit seinem verzweigten Netz entscheidend dazu beitragen, diese Daten zu sammeln und zu einer weitreichenden Sensibilisierung beizutragen.
Eine Option könnte sein, dass FairTrade, mit der jetzt schon vorhandenen Dichte an Infos, diese öffentlich macht und das spezifische Living Income pro Kooperative publiziert. So wüssten KonsumentInnen und Röstereien gleicherseits, was die Lebenskosten an einem spezifischen Ort sind, und wie ein wirklich fairer Kaffeepreis dazu beitragen könnte.
Und wer noch?
Für den Kaffee können wir uns nur wünschen, dass wir, ähnlich wie das 2019 für den Kakao gelungen ist, einen ISO Standard für Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit definieren.
Dazu bedarf es Sanktionen von nationalen Kaffeeverbänden, zum Beispiel dem Deutschen Kaffee-Verband – denn, wo kein Kläger, da kein Richter. FairTrade alleine ist in einer schwierigen Position, mit einer schlechten Verhandlungsposition gegenüber den Röstereien.
Alle müssen mitziehen – die kleinen Röstereien, wie wir, können Stimmung machen und sind als Speerspitze eines angemesseneren Einkaufs in der Pflicht. Die Grossen, für welche Combos und Confidentiales wichtig sind, müssen handeln.
Dafür braucht es einen immensen Schulterschlusses aller Player im Handel. Weniger kann aber nicht unser Ziel sein.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger, Juli 2020